Test: Xils Lab PolyM, Polymoog Plug-in - AMAZONA.de (2024)

Der virtuelle Polymoog

2. August 2017

Das französische Unternehmen Xils Lab schickt sich an, ein weiteres legendäres Instrument zu emulieren: den Moog Polymoog, einen der ersten polyphonen Synthesizer überhaupt. Ein eigenständiges Instrument, geliebt, verhasst und heute nur noch selten anzutreffen.

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Als der original Moog Polymoog 1975 auf den Markt kam, war er das, worauf viele Keyboarder schon lange warteten – und dennoch eine herbe Enttäuschung. Selten klafften Erwartungen und Realität weiter auseinander als beim Polymoog (hierzu empfehlen wir auch unseren BLUE BOX Report POLYMOOG). Viele dachten damals, sie bekämen hier einen polyphonen Minimoog, was natürlich nicht möglich war. Fairerweise darf man darauf hinweisen, dass die Firma Moog auch keinerlei Ankündigungen dieser Art machte. Wer beim Polymoog das Falsche erwartete, war auch ein bisschen selbst dran schuld. Denn die Stärken dieses Instrumentes sind keine Leads und Bässe, sondern Pads, Streicher, Pianos, Clavinet und Orgel Sounds, die sich dank Vollpolyphonie (71 Stimmen!), Anschlagdynamik und der angenehmen halb-gewichteten Tastatur feinfühlig spielen lassen. Der Polymoog ist explizit für zweihändiges Spielen konzipiert, inklusive festem Splitpunkt. Er ist (mit gewissen Einschränkungen) zweifach multitimbral.

Und dennoch gilt er manchen Leuten als “the worst Synthesizer ever built”. Wie kommt’s? Ein Grund war das schlechte Image von Oktavteiler-Schaltungen, die im Polymoog zum Einsatz kamen. Diese kannte man in erster Linie von Heimorgeln und mit denen wollte ein Keyboarder, der etwas auf sich hielt, natürlich nichts zu tun haben. Aus technischen wie finanziellen Gründen verfügt der Polymoog nämlich über zwei mal zwölf Oszillatoren, die die oberste Oktave chromatisch abbilden. Alle weiteren Töne werden durch Frequenzteiler generiert.

Ein anderes Problem war wohl unter anderem der Name, der verpflichtend wirkt. Moog war eben ein Synonym für fette Klänge. Ein Feld, wo der Polymoog nur begrenzt punkten kann. Man könnte es auch so ausdrücken: der Polymoog klingt nicht nach Moog.

Der original Polymoog

war in vielfacher Hinsicht ein besonderes Instrument. Anfang der 70er Jahre entwickelte die Firma Moog unter dem Namen Constellation ein System, bestehend aus drei Synthesizern mit unterschiedlichen Funktionen: ein monophoner Leadsynthi (“Lyra”), ein polyphones Strings- und Padinstrument (“Apollo”) sowie ein Basspedal. Auch wenn dieses Projekt offiziell nie über das Prototypen-Stadium hinausgekommen ist, gelten Multimoog/Micromoog und das Tauruspedal als Abkömmlinge dieses Systems. Während der Polymoog eine Weiterentwicklung des Apollos war.

Mit Anschlagdynamik und Vollpolyphonie richtete sich der Polymoog vor allem an Pianisten und Keyboarder, die beidhändig spielten. Zudem wurde eine eigene Pedaleinheit (Polypedal) angeboten, die unter anderem die Lautstärke und Cutoff Frequenz steuern konnte. Auch Pitchbending war mit den Füßen möglich, um beide Hände frei zum Spielen zu haben.

Eine Besonderheit waren auch die zahlreichen Anschlüsse des Polymoog. Beispielsweise kann man eine Filterrückkopplung patchen, womit das Filter selbstoszillierend wird. Oder man verbindet den Glide-Ausgang mit dem Pitch-Eingang und erhält einen höchst interessanten polyphonen Glide Effekt.

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An einen CV- und Gate-Ausgang hatte man auch gedacht, so lässt sich ein monophoner Synthesizer entweder per highest oder lowest note priority fernsteuern. Im Klartext heißt das: Man spielt ein polyphones Solo auf dem Polymoog und der höchste Ton wird von einem externen Synthi gedoppelt, dessen Signal wieder in den Polymoog zurückgeführt werden kann, um es mit der Resonatorbank oder dem Filter nochmals zu bearbeiten. Damit wird der Polymoog zum analogen „Masterkeyboard“ mit zwar beschränkten Möglichkeiten, aber meines Wissens das einzige analoge Instrument, das derart flexibel einen anderen Synthesizer ansteuern und bearbeiten kann. All diese Features machten den Polymoog zu einem besonderen Instrument mit zweifelhaftem Ruf. Er gilt und galt als sehr störungsanfällig.

Der Polymoog war der erste Analogsynthesizer, den ich mein Eigen nennen konnte. Und es ist nicht übertrieben, wenn ich behaupte, dass er damals meiner Kreativität einen großen Schub gab, so dass ich nach kurzer Zeit ganze Konzerte nur auf diesem Instrumente spielte und eine komplette Klanginstallation nur mit dem Polymoog erstellte. Dass ich ihn dennoch ein paar Jahre später verkaufte, wäre ein aussichtsreicher Anwärter, um die Rangliste meiner dümmsten Entscheidungen anzuführen. Ich war eben jung und brauchte das Geld. Zudem unterlag ich dem Irrtum, dass “ich den Klang des Polymoog gewiss auch mit anderen Instrumenten erreichen könnte.” Heute frage ich mich, wie naiv ich damals war. Man kann vom Polymoog halten, was man will, doch eines sollte klar sein: Wer diesen Sound möchte, braucht einen Polymoog. Er hat de facto keine Konkurrenz. Außer vielleicht diese Software …

Installation und Aufbau des PolyM

PolyM läuft auf Mac oder PC-Plattformen in den Formaten AU, AAX, VST und RTAS (für Pro Tools ab Version 7.0). Ein Standalone-Betrieb ist nicht vorgesehen. Im Minimum werden 1 GB RAM sowie ein 2 GHz Prozessor vorausgesetzt. Als Kopierschutz kommt iLok zum Einsatz, entweder als Hardware-Dongle oder virtuell über die iLok App. Da keine Samples geladen werden müssen, ist das Programm mit knapp 40 MB angenehm klein und schnell runtergeladen.

Die grafische Oberfläche erinnert sofort an den Polymoog, an einen imaginären, zweireihigen Polymoog, um genau zu sein. Alle Regler sind genau da, wo man sie auch erwarten würde. Als wichtigste Änderung sind ein polyphones VCF und ein paar Effekte zu nennen, ohne die ein Plug-in heutzutage nicht mehr auszukommen scheint. Reverb, Phaser und ein temposynchrones Delay lassen sich links der Tastatur ein- und ausschalten und in einem hochklappbaren, eigenen Bedienpanel editieren. Hier findet sich auch eine Modulationsmatrix mit neun Quellen und Zielen.

Klangerzeugung

Für beide Oszillatoren stehen zwei Fußlagen (8′ und 4′, resp. 16′ und 8′) zur Verfügung. Die Oszillatoren lassen sich grob 7 Halbtöne gegeneinander verstimmen, womit man schöne Quinten-Lead-Sounds erstellen kann. Fine Tune („Beat“)gibts zusätzlich auch, mit eigener LED, die im Takt der Oszillatorschwebung blinkt.

Eine der Stärken des Polymoogs sind die subtilen Modulationen der Oszillatoren. Hier stehen nämlich nicht weniger als drei LFOs zur Verfügung, für FM der Rechteckoszillatoren, FM der Sägezahnoszillatoren sowie Modulation der Pulsbreite. Die Oszillatoren können übrigens synchronisiert werden (“Lock”), doch handelt es sich hierbei um eine Soft-Sync-Schaltung, die ganz praktisch sein kann, wenn man volle Pads erstellen möchte mit phasenstarren Oszillatoren. Klassische Hard-Sync-Sounds sind nicht vorgesehen.

Ladder-Filter

Das Signal der beiden Oszillatoren gelangt in die sogenannten „Mode“-Filter. Beim Original Polymoog waren dies feste, leider nicht editierbare Filter, die einem der acht Presets zugeordnet sind. Je nach Preset handelt es sich um Tiefpass- (“Piano”) oder Hochpass-Schaltungen (“Harpsichord” oder “Strings”).

Zum Glück hält sich die Software-Emulation hier nicht streng an das Original: Die Mode Filter sind nämlich frei editierbar und zwischen Tief-, Band- und Hochpass umschaltbar mit einer Flankensteilheit von 12 dB.

Anschließend folgt ein VCA, dessen Hüllkurve zwischen der Original-Konfiguration (ADS, “Legacy”) oder einer klassischen ADSR umgeschaltet werden kann. Die Decay- und Release-Zeiten sind für beide Tastaturzonen getrennt einstellbar. Hier findet sich auch ein Regler für die Anschlagdynamik (“DYN”).

Resonator und Masterfilter

Wer denkt, dass die Klangsynthese an dieser Stelle eigentlich zu Ende wäre, hätte Recht, was die meisten anderen Synthesizer betrifft. Beim Polymoog (und seinem Software-Klon) geht’s aber noch ein bisschen weiter …

Nach den VCAs wird das Signal wahlweise durch die Resonatorbank und/oder ein spezielles Filtermodul geleitet. Ersteres bietet drei manuell stimmbare Filter, die wahlweise als 12 dB Hochpass, 12 dB Tiefpass oder 6 dB Bandpass fungieren. Für jedes Filterband lassen sich Cutoff, Resonance und Volume einzeln regeln. Der Klang dieser Resonatoren ist legendär, so dass sie auch gerne zur Bearbeitung externer Quellen eingesetzt wurden. Es gibt verschiedene Nachbauten für 5 HE Modularsysteme sowie einen Bausatz fürs Eurorack. Anscheinend soll es Leute geben, die sich einen Polymoog nur wegen der Resonatorenbank zugelegt haben.

Als letztes Modul des Signalflusses findet sich ein klassisches 24 dB Moog Kaskadenfilter mit eigenem LFO, Sample & Hold Generator und ADSR-Hüllkurve. Wohlgemerkt: ein Filter für alle Stimmen. Somit ist der Polymoog sowohl polyphon (durch die Mode-Filter) als auch paraphon. Und gerade diese Mischung macht den besonderen Klangcharakter aus. Die Hüllkurve arbeitet wahlweise im Single- oder Multiple-Trigger-Modus mit highest oder lowest Note Priority (“Upper” und “Lower”).Die Signale der verschiedenen Filter sowie dasungefilterte Signal der Oszillatoren (“Direct”)werden über den internen Mischer geführt, ehe sie durch die Effekte geführt werden.

Modulationen und Effekte

Die Modulationsmatrix bietet Zugriff die gängigen Controller-Daten wie Velocity, Aftertouch (sowohl monophon wie polyphon), Modulationsräder, Hüllkurven sowie die drei LFOs der Oszillatorsektion, deren Frequenzbereich sich bis 1200 Hz erstreckt. Im Gegensatz zum Polymoog stehen nebst Sinus auch Rechteck, Sägezahn und Zufallsschwingungen zur Verfügung.

Unter Destination finden sich nebst den üblichen Verdächtigen auch die Parameter der Resonatorenbank und der Effekte: Phaser, Delay und Reverb. In durchaus guter Qualität. Eine willkommene Zugabe.

Der Klang des Xils Lab PolyM

Der PolyM glänzt vor allem bei Streichern und anderen Pads, die stets sehr warm und durch die unabhängige Frequenz- und Pulsbreitenmodulation sehr lebendig klingen. Lässt man die Oszillatoren mit ähnlichen, jedoch nicht genau gleich schwingenden LFOs in Frequenz und Pulsbreite modulieren, erhält man wunderbare warme, schwebende und v.a. sehr lebendige Klänge. Ansonsten bietet der PolyM knackige Bässe und überzeugende Piano, Cembalo und Clavinet Sounds, die sich dank der Anschlagsdynamik nuanciert spielen lassen. Natürlich handelt es sich dabei nicht um naturgetreue Simulationen dieser Instrumente.

Die analoge Herkunft der Sounds ist immer präsent und erwünscht. Wer sich ein bisschen in die etwas andere Klangsynthese vertieft, vermag der Software auch skurrile Effektklänge zu entlocken (beispielsweise mit der Eigenschwingung des Filters, das gleichzeitig von LFO und S&H moduliert wird und mit der Resonatorbank in Serie geschaltet ist). Interessante Synthesizer-Soli lassen sich auch spielen, dennoch soll nicht unerwähnt bleiben, dass ein Minimoog anders klingt. Um nicht zu sagen: fetter. Das PolyM Plug-in ist bestimmt kein polyphoner Minimoog, was es auch gar nicht sein will, sondern eher eine Art String-/Pad- und Piano-Synthesizer deluxe.

Unterschiede zum OriginalPolymoog

Nebst den offensichtlichen Unterschieden wie dem polyphonen Modefilter und variablen Splitzonen gibt es einige Punkte, die beim PolyM anders sind als beim Original. Eine nicht unwichtige Sache betrifft das Rauschen. Mein Polymoog rauschte ganz erheblich, was natürlich oft störte, aber auch zum besonderen Charme des Instrumentes beitrug. Da das 24 dB Ladder-Filter ganz am Ende der Signalkette steht, gibt es keinen VCA, der in Spielpausen den Signalweg schließen würde. Beim Polymoog stehen die Tore sozusagen dauernd offen. Wenn nun das Filter (am besten mit mittlerer bis hoher Resonanz) vom LFO oder der Zufallsspannung moduliert wird, dann laufen diese Modulationen auch weiter, wenn keine Töne gespielt werden, basierend auf dem Grundrauschen des Instrumentes. Das Ergebnis ist ein interessanter und subtiler Klangteppich, eine Atmo, die ihresgleichen sucht und mit der PolyM Software nicht erzeugt werden kann.

„Alles nicht so schlimm!“, werden einige denken, „dann nimm doch einfach ein externes Rauschen!“ Aber gerade das ist nicht vorgesehen. Die PolyM Software bietet keine Möglichkeit, externe Signale zu bearbeiten, obwohl gerade dies klanglich sehr ergiebig wäre.

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Author: Jamar Nader

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